Liebes Gagarin Kollektiv!
Im Zuge unseres Arbeitskampfes gemeinsam mit eurer ehemaligen Arbeiterin, haben wir die letzten Wochen viel Zeit gehabt, uns alles nocheinmal sehr gut durch den Kopf gehen zu lassen. Und wir sind nun vollends überzeugt, daß unsere Gewerkschaft einen riesen Fehler gemacht hat die Einhaltung irgendwelcher arbeitsrechtlichen Mindeststandards von Euch zu verlangen. Wir haben nun erkannt, daß wir, wenn die ArbeitgeberInnen uns (anti-)politisch nahestehen, wir auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verzichten sollten – Krankenstand ist sowas von 20.Jahrhundert! Auch daß es bei Geringfügigen Arbeitsverhältnissen jedenfalls 13. und 14. Lohn und Urlaub gibt, ist ein Wissen, das sich in „linken“ Kreisen nicht verbreiten sollte. Es war unverantwortlich von uns diese Informationen zu veröffentlichen. Nicht auszudenken was passiert, wenn alle „Alternativbetriebe“ nun mit ArbeiterInnen konfrontiert sind, die ihre Rechte kennen.
Unsere Idee, daß erkämpfte bürgerliche Minimalstandards auch für coole Projekte gelten sollten, war komplett daneben. Tschuldigung! Aber noch unverfrorener war unsere Annahme, daß, wenn wir von den rund 28.000 Euro, die sich das Gagarin in den 30 Monaten Arbeitsverhältnis erspart hat, 5000 Euro für unsere Genossin verlangen, daß ihr dann an einer außergerichtlichen Lösung interessiert seid.
Durch eure beharrliche Weigerung mit uns zu kommunizieren, haben wir die Möglichkeit gehabt, an uns zu arbeiten und zu erkennen, daß für alternative Projekte eben keine Minimalstandards gelten dürfen! Wie ihr uns richtig mitgeteilt habt, ist es auch überhaupt nicht eure Sache, ob sogar ein Aufenthaltsstatus an eurer Praxis für die ArbeiterInnen hängt. Wichtig ist das Projekt und das Dabeisein. Ihr könnt überhaupt nichts dafür, daß im Kapitalismus Menschen von ihren Arbeitsstellen wirtschaftlich abhängig sind. Und außerdem haben ja alle vorher gewußt, daß das Gagarin keine Kollektivverträge einhält usw. Die haben sich ja alle freiwillig drauf eingelassen. Daß Manche die Sprache nichtmal können ist auch deren Problem und nicht Eures. Wie ihr richtig gesagt habt; wir haben bisher einfach nicht verstanden wie das Gagarin funktioniert!
Was uns aber wirklich den letzten Schubser gegeben hat eure Position verstehen zu können, waren Eure zusätzlichen Aktivitäten der letzten Wochen. Daß ihr mit einem anderen hierarchischen Betrieb euch gegen das WAS verbünden wollt, hat uns gezeigt, daß wir euch durch unsere dummen Aktivitäten unnötiger Weise in die Arme des Klassenfeindes getrieben haben. Der Brief der Wirtschaftskammer, und speziell der Brief von eurem Anwalt haben uns dann endgültig klar gemacht, daß wir keinerlei Kundgebung vor dem Gagarin mehr machen können, und auch alle bisherigen Artikel zur Causa löschen müssen. Dazu sind wir schon moralisch verpflichtet! Immerhin kann man für die Bio-Käsespätzle ja zahlen was man will, da braucht sich nachher niemand aufregen und beispielsweise bezahlte Urlaubstage verlangen! Und nicht zuletzt habt ihr uns auch finanziell ziemlich eingeschüchtert. Das war uns nämlich vorher gar nicht klar, daß Firmen versuchen könnten mit teuren Unterlassungsklagen gegen Gewerkschaften, deren öffentliche Informationen und Kundgebungen vorzugehen.
Jedenfalls werden wir alle Aktionen einstellen, und demnächst alle Informationen zu dieser Causa zensieren, wie euer Anwalt von uns verlangt hat. Zusätzlich werden alle gewerkschaftlichen Aktivitäten beendet. In Zukunft werden wir auch keine osteuropäischen Migrantinnen mehr in unsere Gewerkschaft aufnehmen, die nur unsere coolen linken und autonomen Projekte schlechtmachen wollen. Immerhin können die nur „die Familie betrügen“!
Abschließend wollen wir uns öffentlich in aller Form entschuldigen, für all die Fehler, die wir begangen haben. Wir hoffen, daß wir uns in Zukunft wieder Bewegungen und Gruppen in Wien nahe fühlen können, da wir unsere Verirrungen, daß es um ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse ginge im Kapitalismus, hinter uns gelassen haben. Wir haben auch vor, uns in Zukunft nicht mehr um die tatsächlichen Belange unserer Mitglieder zu kümmern, und deren reale Situationen wirklich ernst zu nehmen. Wir wollen uns eher auf wichtige Kampagnen für weit entfernte Dinge, mit denen wir nichts zu tun haben, beschränken. Vielleicht wird es die Situation von Senegalesischen KleinbäuerInnen, oder Robbenbabys nördlich der Polarkreises, … das ist noch nicht ganz klar.
Wir hoffen, daß ihr unsere Entschuldung annehmen könnt, und daß wir in Zukunft keinen derart schrecklichen Fehler als Gewerkschaft mehr machen.
Unterwürfigst,
Eure Gewerkschaft Wiener ArbeiterInnen-Syndikat
P.S. Habt ihr euch das ca. so vorgestellt? Spielt‘s leider nicht! Wir empfehlen euch, mit uns in Kontakt zu treten und andere Möglichkeiten ins Auge zu fassen.
Artikel veröffentlicht am 15. November 2022. Kopieren mit Quellverweis möglich.