Wie der Versuch, im Kapitalismus einen Kollektivbetrieb aufzuziehen, zu antigewerkschaftlichen Aktionen falsch abgebogen ist
Der angebliche Kollektivbetrieb Cafe Gagarin hat anscheinend ein Händchen dafür, den derzeitigen Arbeitskonflikt mit dem WAS weiter sinnlos zu eskalieren, anstatt unsere ausgestreckte Hand zu ergreifen und Schritte zu einer gütlichen Lösung zu setzen. Dieser Tage versteigen sie sich sogar dazu, von uns eine Löschung aller Informationen und Postings sowie die Einstellung aller Kundgebungen per Anwaltsschreiben zu verlangen. Sollten wir bis zum 26. August diesem Zensurversuch und der Einschränkung der Versammlungsfreiheit nicht entsprechen, wollen sie das WAS gerichtlich klagen und stellen Zitat „erheblichen Kosten“ für uns in den Raum, …
Gut, beginnen wir mit einem Kurzbericht zu diesem fünfseitigen Anwaltsschreiben. Letzte Woche, am 5. August, empfing das WAS dieses per E-Mail, ein eingeschriebener Brief folgt angeblich noch. Ein eigentlich als links einzustufender Anwalt hat in seinem Schreiben offenbar keine Hemmungen, antigewerkschaftlich zu argumentieren. Etliche Unwahrheiten des Gagarins in Bezug auf die arbeitsrechtlichen Zustände dort werden einfach erneut behauptet. Motto „alles richtig gemacht“. Unsere Genossin hätte absolut keinerlei Ansprüche, alles wurde korrekt abgerechnet. Jegliche Mißstände in den Lohn- und Stundenabrechnungen werden negiert. Darüber hinaus wird unsere Geltendmachung der offenen Lohnansprüche (welche wir Ende Juli offiziell an die Geschäftsführung geschickt haben) – entgegen höchstgerichtlicher Entscheidungen – fälschlicherweise für ungültig erklärt.
Als ob das nicht genug wäre, wird zudem eine Zensur unserer Veröffentlichungen zum Gagarin-Arbeitskonflikt gefordert sowie die Unterlassung „störender Aktionen“, womit also die Versammlungsfreiheit (für den lustigen Anwalt: diese steht in Verfassungsrang) versucht wird einzuschränken und es wird mit gerichtlichen und somit finanziell aufwendigen Konsequenzen gedroht, falls wir am 26. August nicht alles gelöscht haben.
Zum Leidwesen des Gagarins ist das ganze Anwaltsschreiben rechtlich weitgehend dilettantisch, was wir dem Anwalt auch bereits mitgeteilt haben, und unhaltbar. Beispielsweise wird behauptet, unsere Genossin hätte auf Sonderzahlungen „freiwillig verzichtet“. Hui – das wäre ein Fressen für alle KapitalistInnen in Österreich, wenn man Kollektivverträge mit „freiwilligem Verzicht“ außer Kraft setzen könnte. Rechtlich wäre sowas natürlich sittenwidrig. Diese Episode zeigt aber sehr schön, warum der ganze Gagarin-Konflikt schon prinzipiell notwendig ist und worin die gesamtgesellschaftliche Gefahr besteht.
Darüber hinaus ist der Brief so schlecht, daß er in einigen Bereichen den bisherigen Aussagen des Gagarins widerspricht, und sogar Dinge offenlegt, die recht heftige Unwahrheiten beweisen. Diese Schmankerln heben wir uns aber für den Fall auf, daß tatsächlich jemand so dumm sein sollte, das WAS auf Unterlassungen jedweder Art zu klagen.
Für das WAS ist das „Bedrohungspotential“ des Anwaltsschreibens jedenfalls gegen null gehend. Unorganisierte und unerfahrene ArbeiterInnen könnten sich aber von solchen Worten vermutlich schon einschüchtern lassen.
Der Anwaltsbrief bestärkt jedenfalls unsere Bewertung, daß im Gagarin die Nerven blank liegen und der vermeintliche Kollektivbetrieb inzwischen beim Union Busting, also der Anwendung von Methoden zur Behinderung gewerkschaftlicher Tätigkeit und Organisierung, angelangt ist. Ironie des Schicksals, daß uns dies nach 20-jährigem Wirken in Wien nun von „Linken“ erstmals angedroht wird, oder logische Konsequenz von autonomen Weltbildern? Daher möchten wir jedenfalls an dieser Stelle zwei weitere Vorfälle veröffentlichen, die erste Anzeichen von Union Busting dargestellt haben.
Frühere antigewerkschaftliche Vorkommnisse
Den ersten Vorfall haben wir zwar schon sehr heftig gefunden, bisher aber nicht veröffentlicht, da er doch individuell hätte sein können und womöglich nicht exemplarisch für das ganze Gagarin. Kurz bevor unsere Genossin gekündigt hat, hat ein Kollektivmitglied in einem Gespräch über sie klar gesagt, dass eine Person, die Probleme im Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen anspricht oder sich mit einem Syndikat in Verbindung setzt, das Kollektiv nur als böse Figuren der Ausbeutung darstellt und nicht beim Gagarin arbeiten sollte. Diese Bemerkung bezog sich auf ein einziges Gespräch, das unsere Genossin mit einem weiteren WAS-Mitglied kurz vor der Klausur geführt hatte, mit dem Ziel, darauf vorbereitet zu sein, Probleme mit den Arbeitsbedingungen zu besprechen. Und das war eigentlich lange bevor wir mit dem Café in Kontakt kamen. Also ein Tenor wie in jeder x-beliebigen Firma „bei uns braucht es keine Gewerkschaft“ …
Das zweite Ereignis ist erst ein paar Wochen her. Das WAS hat – bereits mitten im Arbeitskonflikt – die Information bekommen, daß ein Gagarin-Kollektivmitglied einen normalen hierarchisch organisierten Betrieb angeschrieben und im Namen des gesamten Gagarin eingeladen hat, sich gegenseitig gegen das WAS zu unterstützen. Das WAS hat mit diesem Betrieb ebenfalls einen öffentlichen Konflikt, so kam der Vorschlag vonseiten des Gagarin, doch von der jeweiligen Vorgangsweise zu lernen. Für uns klingt das danach, eine Art Chef-Zusammenschluss zu gründen, wo sie gemeinsam gegen das WAS vorgehen können und sich nebenbei mal so richtig über Ex-Mitarbeiterinnen und deren gewerkschaftliche Organisierung auskotzen können, zusammen mit anderen „Betroffenen“, und von deren Vorgehensweise und Wissen lernen können. Klingt dystopisch, gilt aber in einem linken Kollektivbetrieb anscheinend als coole und normale Vorgehensweise.

Fassen wir also zusammen:
- das Gagarin trifft sich weiterhin nicht mit uns und weigert sich, über unser Vergleichsangebot überhaupt zu sprechen
- das Gagarin bemüht sich, mit einem offen hierarchischen Betrieb Wissen gegen das WAS auszutauschen und sich wechselseitig gegen eine Gewerkschaft zu unterstützen
- das Gagarin hat weiterhin kein Bewußtsein dafür, daß keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, kein Urlaub und keine Sonderzahlungen – neben all den anderen Missachtungen von Arbeitsrechten – absolute No-Gos sind
- das Gagarin verkennt weiterhin komplett die Lage und betrachtet ein sehr großzügiges Vergleichsangebot – von nicht einmal 20% fehlender Lohnbestandteile – durch das WAS, das alle arbeitsrechtlichen Klagen in der Zukunft ausschließen würde, als indiskutabel
- das Gagarin fordert uns per Anwalt auf, bis 26. August „bereits verbreitete Informationen bzw. Postings zu löschen“ und versucht uns mit einem teuren Gerichtsverfahren einzuschüchtern
- das Gagarin fordert uns ebenfalls per Anwalt auf, „störende Aktionen (…) zu unterlassen“ und stellt auch diesbezüglich eine sogenannten Unterlassungsklage in Aussicht
WTF? – und jetzt?
Wenn das für euch – geschätzte LeserInnen – ebenfalls nach Schuß ins eigene Knie des Cafés klingt, … keine Sorge, wir verstehen die Handlungen dieser Leute auch nicht. Schon die Tatsache, daß das Gespräch mehrfach verweigert wurde, wo wir noch angeboten haben alles ohne Öffentlichkeit untereinander zu klären, war sehr unverständlich. Aber jetzt einen Anwalt zu engagieren, anstatt einen außergerichtlichen Vergleich anzustreben ist noch weniger zielführend unserer Meinung nach. Wir können nur spekulieren, was der Grund für diese extreme Trotzhaltung ist. Vielleicht geht es um die wirklich schmerzliche Erkenntnis, daß jedes Arbeitsverhältnis im Endeffekt Ausbeutung ist, selbst wenn es sich nur um „Selbstausbeutung“ handelt. Wenn man aber einmal einen Betrieb hochgezogen hat, in dem eine zweistellige Anzahl an ArbeiterInnen hackelt, dann gibt es unter diesen auch einige, die eben von dem Geld abhängig sind. Dann ist nicht jeder Mensch nur dort, weil es sich um ein „alternatives, tolles Projekt“ handelt. Dann wird man von der Realität im Kapitalismus eingeholt und müßte sich eingestehen, daß man selbst Teil des Ausbeutungssystems ist. Mit fehlender Klassenanalyse ist dies noch viel schwieriger zu bewerkstelligen.
Ein weiterer Grund dürfte sein, daß dann ja „jede ArbeiterIn im Gagarin daherkommen könnte und mehr verlangen“ … ein Problem, daß das Kollektiv eben auch intern zeitnahe angehen muß. Wir hoffen, daß ihnen das gelingt, ohne das komplette Café in den Abgrund zu reißen. Denn die derzeitigen Aktionen der Chefitäten vom Gagarin fallen eher unter die Kategorie sinn- und aussichtslos in unseren Augen.
Bezüglich unserer Genossin, die dort früher gearbeitet hat, gibt es keine andere Lösung, außer einen kleinen Teil des nicht bezahlten Lohns zu begleichen und sich auf einen Vergleich mit dem WAS zu einigen. Dazu müßten wir aber endlich anfangen, miteinander zu reden.
Wir sind weiterhin dazu bereit und rufen das Gagarin auf, endlich ein Mindestmaß an Vernunft walten zu lassen und ungeschickte Eskalationsversuche hintanzustellen.
Artikel veröffentlicht am 14. August 2022 auf wiensyndikat.wordpress.com. Kopieren mit Quellverweis möglich.
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