Bericht zur ersten großen Kundgebung am 29. Mai 2022
Mehr als 100 GenossInnen und FreundInnen haben sich Sonntag zu Mittag vor Le Firin getroffen, um der Firmenleitung zur absoluten Rushhour in der Aufbackstube zu zeigen, daß wir die Zustände nicht akzeptieren werden. Unsere beiden betroffenen GenossInnen haben erfahren, was es heißt, nicht mehr alleine zu sein und gemeinsam gegen ausbeuterische Strukturen anzukämpfen. Das Bewußtsein, nicht einem individuellen und zufälliger Weise bösen Chef gegenüberzustehen, sondern einem System, dessen Name Kapitalismus ist und das zwangsläufig zu Ausbeutung führt, reift bei vielen Menschen und hat heute eben eine dreistellige Anzahl in Klassensolidarität mit uns auf die Straße gebracht.
Besonders da Frauen und MigrantInnen noch stärker von ökonomischen Zwängen betroffen sind, ist die Wichtigkeit solcher Kundgebungen nicht zu unterschätzen.
Le Firin ist aber auch ein spezieller Fall, in dem inzwischen viele betroffene ArbeiterInnen die strukturelle Mißachtung sehr vieler Arbeitsrechte bekämpfen wollen. Mittlerweile gibt es abseits unserer beiden GenossInnen Kontakt zu fünf weiteren ehemaligen ArbeiterInnen bei Le Firin, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, und angeblich auch schon Klagen vor dem Arbeitsgericht gewonnen haben. Die Sache wird immer größer, und ist ein Selbstläufer geworden. Denn daß wir heute die bisher größte reine WAS-Kundgebung erlebt haben, damit haben auch wir eigentlich nicht gerechnet. Es zeigt aber, daß das Thema Le Firin wirklich viele Leute direkt betrifft. Besonders schön war zu sehen, daß viele ArbeiterInnen mit Migrationshintergrund teilgenommen haben. Die Sprechchöre waren teils auf Deutsch, Türkisch und Englisch. Und auch das Soli-Plakat unserer französischen Schwestergewerkschaft CNT-IAA, die von sich aus aktiv geworden ist, war mit dabei.
Der Wagen des ORF hat sich übrigens nicht etwa deshalb hinter der Kundgebung eingebremst, weil er spontan einen Fernseh- oder Radiobericht über unsere Versammlung machen wollte, sondern weil er den Seitenspiegel vom Polizeibus vor unserer Kundgebung abgefahren hat.
Der Geschäftsführer und die Besitzerin haben übrigens die Plätze im Schanigarten mit Familienmitgliedern und Angestellten besetzt, die die kompletten 2,5 Stunden dann quasi fußfrei unserer Versammlung lauschen mußten. So konnten sie beispielsweise „die Arbeiter von Wien“ auf türkisch genießen und live beobachten, wie sehr viele KundInnen nach Information durch uns am Absatz umgedreht haben und vorerst nicht mehr bei Le Firin einkaufen werden. Unsere 300 Flugzettel für PassantInnen waren sogar zu wenig und schon vor dem Kundgebungsende aus. Für die nächsten Aktionen müssen wir mehr davon drucken.
Nach der Versammlung haben wir in der Nähe noch ein spontanes Nachbesprechungs- und Vernetzungstreffen gemacht. Es kam zu vielen neuen Kontakten und wir konnten etlichen Menschen nahebringen, wie anachosyndikalistische Gewerkschaften arbeiten und worin die Kraft der Selbstorganisation im Gegensatz zu Vertretungsinstitutionen liegt. Auch daß wir als WAS den Konflikt solange fortführen, bis unsere GenossInnen ihr ganzes Geld bekommen, haben wir dargelegt und damit sichtlich einige Menschen beeindruckt, zumal es ja in anarchosyndikalistischen Gewerkschaften auch keine bezahlten Funktionen gibt und alles ehrenamtlich passiert.
Die Chefitäten im Le Firin brauchen jetzt sicher einmal ein paar Tage, bis sie anfangen kaufmännische Berechnungen anzustellen und zu überlegen, ob der weitere Imageverlust in einem Verhältnis zu den rund 3000,- Euro Unterschied, den wir am Donnerstag bei den Verhandlungen hatten, steht. Früher oder später kommen alle KapitalistInnen drauf, daß es doch günstiger ist, die minimalen bürgerlichen Arbeitsrechte einzuhalten. Manche nach einer Woche, andere mit denen wir zu tun hatten, haben für diese Erkenntnis 1,5 Jahre gebraucht, dann aber trotzdem gezahlt, …
Yaşasın sendikal mücadelemiz!
Artikel veröffentlicht am 29. Mai 2022 auf wiensyndikat.wordpress.com. Kopieren mit Quellverweis möglich.