Herrschaftsfreie Basisgewerkschaft – Österreichische Sektion der IAA

12. Februar „Tag des Aufstands gegen den Austrofaschismus“ 2022

In Antifaschismus, Historisch on 13. Februar 2022 at 22:51

Ein kurzer Bericht

Dieses Jahr wurden Kundgebungen und eine Demonstration in Gedenken an die kämpfenden ArbeiterInnen, die sich im Jahr 1934 gegen den Austrofaschismus bewaffnet zur Wehr gesetzt haben, von einem breiteren Bündnis getragen. Das WAS war Teil davon. Wir haben uns im Gemeindebau Sandleitenhof getroffen, der der erste Ort in Wien war, an dem es zu Kampfhandlungen im Februar `34 gekommen ist. Anschließend sind wir mit zirka 250 Menschen durch den Arbeiterbezirk Ottakring gezogen, vorbei am damaligen Arbeiterheim, welches am 13. Februar 1934 mit 21 Artillerieschüssen sturmreif geschossen wurde, da die kämpfenden ArbeiterInnen bis dahin die Oberhand in diesem Stadtteil hatten. Unsere Abschlußkundgebung fand vor dem Bezirksamt des 16. Wiener Gemeindebezirks statt.

Das WAS hat sich in der Vorbereitung bereit erklärt, 2000 Flugzettel des Demobündnisses für PassantInnen herzustellen. Außerdem haben wir die 1. Hilfe für die Demonstration übernommen, die im Gegensatz zum 1. Mai letztes Jahr glücklicher Weise nicht gebraucht wurde, und schließlich haben wir uns bereit erklärt, in unserer Rede speziell die Vorgänge am 12. Februar 1934 im Sandleitenhof selbst zu beleuchtet. Diese Rede wollen wir hier auch zum Nachlesen bereitstellen:

Liebe GenossInnen!

Ich bin vom Wiener ArbeiterInnen-Syndikat. Das WAS ist eine anarchosyndikalistische Basisgewerkschaft. Das heißt, wir sind herrschaftsfreie SozialistInnen. Organisiert sind wir in der Internationalen ArbeiterInnen-Assoziation – der IAA. Das ist die 1. Internationale.

Das Erinnern an jene die im Februar `34 bereit waren gegen den Faschismus zu kämpfen, kann nicht hoch genug gehalten werden! Gerade in diesem Land, das seine eigene faschistische Diktatur zwischen 1933 und 1938 derart verleugnet, und seit Ende des 2. Weltkriegs den Mythos vom ersten Opfer bedient.

Wir haben jetzt schon Einiges über die Vorgänge im Februar `34 gehört. Wir wollen noch ein bissl genauer darauf eingehen, warum wir heute hier im Sandleitenhof stehen. Als damals am Montag den 12. Februar die Informationen aus Linz in Wien angekommen sind, haben sowohl die Wichtigmenschen der Sozialdemokratischen Partei, als auch die Leitungsgremien vom Schutzbund gebremst. Hier in Ottakring haben die HacklerInnen aber selber gehandelt und den bewaffneten Widerstand organisiert. Der Sandleitenhof war der erste Ort, an dem es zu substanziellen Kampfhandlungen in Wien gekommen ist. Es war um genau 5 nach 1 zu Mittag, als damals eine große Polizeieinheit hier in Sandleiten aufgetaucht ist, und eine Versammlung des Schutzbundes und der ArbeiterInnen vom Sandleitenhof auflösen wollte. Die HacklerInnen, die schon in höchster Alarmbereitschaft waren – während übrigens die Schutzbundleitung erst viel später nämlich um 14 Uhr eine Meldung zur Bewaffnung ausgegeben hat, während in vielen Teilen Wiens schon gekämpft worden ist – haben die Polizei beschossen. Sowohl aus Wohnungen mit Gewehren, als auch aus vorbereiteten Maschinengewehrstellungen auf den Straßenkreuzungen. Die Auflösung und weitestgehende Unterdrückung der organisierten ArbeiterInnenklasse wurde nicht kampflos hingenommen!

Dabei ist zu bedenken, daß der Sandleitenhof mit seinen fast 1600 Wohnungen, der größte Gemeindebau der Zwischenkriegszeit ist. Über 5000 Menschen waren zu dem Zeitpunkt hier im Hof.

Die Polizei hat sich dann erst einmal zurückziehen müssen. Es wurde eine Polizei-Alarmkompanie mobilisiert. Das ist quasi der Vorläufer zur heutigen WEGA. Die sind dann mit 5 Maschinengewehren angerückt und haben begonnen den Hof unter Dauer-MG-Feuer zu nehmen. Wegen der heftigen Gegenwehr war aber trotzdem nicht an ein Eindringen der Polizei in den Hof zu denken. Deshalb sind um 15.30 Uhr dann noch Bundesheereinheiten von den Austrofaschisten nachmobilisiert worden. Angerückt sind dann nach 4 Uhr 200 Soldaten von einem motorisierten Bataillon des Infanterieregiments Nr. 3 mit einer Gebirgskanonen-Batterie von einem Artillerieregiment. Ausgerüstet waren die mit zusätzlichen zehn Maschinengewehren, zwei Minenwerfern und vier Kanonen. Die Artillerie ist da drüben im Kongresspark aufgestellt worden.

Der Sandleitenhof hat sich also innerhalb kürzester Zeit in einer militärischen Belagerungssituation befunden. Den ganzen Nachmittag über haben die ArbeiterInnen erbitterten Widerstand geleistet, während das Militär, die Alarmabteilung und die Schutzpolizei sich rundherum in Stellung gebracht haben und das MG-Feuer dauerhaft fortgesetzt worden ist. Von der Hernalser Hauptstraße aus ist der Sturm auf den Hof vorbereitet worden.

Mit der beginnenden Dunkelheit war dann an eine Erstürmung – insbesondere in Erwartung eines erbitterten Häuserkampfes – überhaupt nicht mehr zu denken. Die Einheiten haben den Hof die ganze Nacht belagert und immer wieder mit den MGs beschossen. Der Schutzbund selbst hat – aus Gründen die wir nicht mit Sicherheit kennen – ab 18.00 Uhr einseitig das Feuer eingestellt. In der Nacht haben sie die Entscheidung getroffen unerkannt abzuziehen und den Hof militärisch aufzugeben. Es ist ihnen auch gelungen ohne weitere Verluste abzuziehen. Als das Bundesheer und die Polizei schließlich in der Früh eingedrungen sind, waren nur noch verängstigte BewohnerInnen vorzufinden, aber keine KombatanntInnen mehr.

Über diese Entscheidung kann man militärtaktisch diskutieren. Manche werden einwenden, daß ein großflächiger Einsatz der Artillerie oder gar eine Bombardierung per Luftangriff – wie im Goethehof – vermieden werden hat müssen. Tatsache ist aber auch, daß es dem Bundesheer noch möglich war, am 12. Februar um ca. halb zehn in der Nacht die erwähnten Armeeeinheiten weiter stadteinwärts zum Arbeiterheim – zu dem wir heute auch noch gehen werden – zu verlegen. Bis dahin haben nämlich die kämpfenden ArbeiterInnen dort die Oberhand gehabt.

Wir wissen aber auch von Maschinengewehren vom Schutzbund, die hier im Sandleitenhof versteckt gewesen sind, und niemals zum Einsatz gekommen sind. Zum Beispiel bei der Frau Anna Vitekauf der 10er-Stiege. Und damit kommen wir zu einem Hauptproblem! In ganz Österreich haben die Führungsfiguren vom Schutzbundes und der Sozialdemokratie gegen die kampfbereiten ArbeiterInnen gehandelt. Während es hier im Sandleitenhof Waffen, auch in diversen Wohnungen gegeben hat, sind vielerorts die geheimen Waffenlager nicht geöffnet worden. Alleine im 3. Bezirk haben sich jeden Tag über 2000 kampfbereite ArbeiterInnen getroffen, die halt jeden Tag auf den Nächsten vertröstet worden sind, anstatt daß man ihnen Waffen ausgehändigt hätte – zum Einsatz sind sie dann nie gekommen. An anderen Orten sind Sozialdemokraten in ihren Büros verharrt und haben auf ihre Verhaftungen gewartet – wie der Wiener Bürgermeister – oder sie haben sich in diesen Tagen nach Tschechien abgesetzt. Der Schutzbund-Kommandant für Wien-West beispielsweise hat nicht nur die Waffen nicht herausgegeben, sondern den Austrofaschisten zugearbeitet, während hier in Ottakring die HacklerInnen massakriert worden sind. Beispielsweise sind die GenossInnen aus dem 13. und 14. Bezirk, die das Arbeiterheim entsetzen wollten, ohne Waffen, nach Hause geschickt worden. Am heftigsten aber waren die Kärntner Sozialdemokraten. Die haben sich gleich zu Beginn öffentlich von jeglichen kämpfenden ArbeiterInnen distanziert und zur Ruhe aufgerufen.

Das Fatalste jedoch war, daß es zu keinem Streik gekommen ist. Der geplante Generalstreik hat nicht stattgefunden. Während von den ca. 100.000 Schutzbundangehörigen sowieso nur rund 10 bis 20.000 überhaupt aktiv gekämpft haben, hat der Austrofaschistische Staat munter Truppen mit der Bahn verschieben können. Und so haben Villacher Armee-Einheiten die HacklerInnen in Bruck an der Mur bekämpfen können, oder Salzburger Einheiten in Wien. Das Problem war also nicht, daß die Führung schlecht gewesen wäre, sondern daß es überhaupt eine Führungsebene gegeben hat! Es muß das Ziel sein, daß alle ArbeiterInnen aus sich selbst selbst heraus den Faschismus verhindern! Nicht daß sie rumsitzen und auf Befehle dazu warten! Und die SPÖ, die seit 140 Jahren zur Passivität und Obrigkeitshörigkeit erzieht, ist Teil des Problems! Hier in Ottakring ist es ihnen schon 1934 nicht komplett gelungen, und Teile der ArbeiterInnenklasse haben sich selbständig bewaffnet erhoben!

Das Versagen der Sozialdemokratie ist aber kein Zufälliges, oder Militärisches gewesen. Seit im Jahr 1889 die herrschaftsfreien SozialistInnen – die damals übrigens noch die Mehrheit waren – dauerhaft entfernt worden sind, ist permanent gegen die Idee, ernsthaft den Sozialismus anzustreben, gehandelt worden. 1914 dann zuzustimmen, daß ArbeiterInnen auf ArbeiterInnen schießen, war nur folgerichtig. Und so hat sich der immer wiederkehrende Verrat fortgesetzt. 1933 wo alle anarchistischen und kommunistischen Organisationen verboten worden sind, genauso wie im Februar `34, wo dann die Sozialdemokratie selbst und alle Gewerkschaften verboten worden sind.

Und so verwundert es nicht, daß jegliche österreichische Wegbereitung für den Nazifaschismus bis heute verneint wird. Die ÖVP hat sich nach dem 2. Weltkrieg, sogar mit personeller Kontinuität – nur elf Jahre nachdem sie in der Ständestaatlichen Diktatur alles Anarchistische, Kommunistische und schließlich Sozialistische verboten hat, erneut staatstragend geben können, ohne daß ihre faschistische Historie jemals aufgearbeitet worden ist. Bis heute nicht!

Und deshalb haben wir heute beispielsweise einen Innenminister, der ein Dollfußmuseum betreibt! Oder einen obersten Kärntner LVT-Beamten, der – aus der ÖVP kommend – selbst immer mal wieder vor den Faschisten und Nazis beim Ulrichsbergtreffen Reden gehalten hat.

Die Lehre von `34 muß sein, daß wir uns einem zukünftigen faschistischen Übernahmeversuch gemeinsam, heftig und unerbitterlich entgegenstellen. Nie wieder dürfen wir zulassen, daß Faschisten die Macht an sich reißen. Und ihr könnts euch sicher sein, daß sich der Kapitalismus – jedes mal wenn es opportun ist – der Faschisten bedient. Man muß ja nur in die Ukraine oder in die Türkei/ Kurdistan schauen. Oder die faschistoiden Tendenzen in Polen und Ungarn genauer betrachten. Aber auch hier in diesem extrem autoritätshörigen Land haben die Herrschenden die letzten Jahre gezeigt, wessen Geistes Kind sie sind.

Nieder mit den Hahnenschwanzlern!

Nieder mit der ÖVP!

Nie wieder Faschismus!

Mehr zu dieser Demonstration:

Audio-Aufnahme der Redebeträge im Cultural Broadcasting Archive
Резюме на русском языке (Zusammenfassung auf Russischer Sprache)

Kundgebungsaufruf auf Deutsch
Kundgebungsaufruf auf Türkisch

Artikel veröffentlicht am 13.12.2022 auf dem WAS-Blog. Kopieren mit Quellenverweis möglich.

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