Herrschaftsfreie Basisgewerkschaft – Österreichische Sektion der IAA

KV-Verhandlungen und Streiks im Sozialbereich

In ArbeiterInnenkämpfe Ö, Gesundheit und Soziales on 10. Februar 2019 at 19:07

Eine Analyse der Gesundheits- und Sozialarbeitenden im WAS

Update zu den laufenden SWÖ-KV-Verhandlungen: 4. Runde gescheitert,
Warnstreiks 12. bis 14. Februar! Kundgebung am 14. Februar, 13 Uhr, Mariahilfer Straße/ Kirchengasse!

Es gab heuer schon vereinzelte Betriebsversammlungen zeitgerecht vor den geplanten „Streikterminen“, was ja ein kleiner Fortschritt gegenüber der letztes Jahr ziemlich verpfuschten Streikbewegung ist. Betriebsratsvorsitzende und ÖGB-FunktionärInnen erzählen uns Beschäftigten dabei zwar selten Falsches, sie lassen aber entscheidende Details weg. Dadurch entsteht eine manipulative und auf bestimmte „unausweichliche Notwendigkeiten“ verengte Logik. Ein Teil davon ist, mit Warnstreiks immer möglichst schwach und ineffizent zu beginnen. Ein halber Tag, auf wenige Teilbereiche und Betriebe beschränkt, soll dieser sein. „Damit der Protest steigerbar bleibt“. Ergebnis: Der Warnstreik misslingt, es gibt keinen wirtschaftlichen Druck auf die Unternehmen, die Leute werden demotiviert. Oft mit dem Argument, dass „bei uns im Betrieb XY ja nicht realistisch ist, dass es zu einem massiven Streik kommt“. Die Streikbewegung hat so kaum Potential zu wachsen, weil sie abgedreht wird, bevor sie andere ansteckt. Die zweite, massiver geplante Streikwelle findet dann wundersamer Weise gar nicht statt. Die Chef-VerhandlerInnen einigen sich überraschend. Wie im letzten Jahr weit unter den zuvor vollmundig angekündigten Forderungen und aller demonstrativer „Kampfbereitschaft“. Die Folge (im besseren Fall): ÖGB-Austritte. Im schlechteren Fall: Noch mehr ArbeiterInnen, die Arbeitskämpfe und Solidarität für sinnlos halten und/ oder ideologisch die Seite wechseln.

Leider kein Missgeschick sondern sozialpartnerschaftliche
Zentralgewerkschaft

„Beginne nie einen Arbeitskampf, den Du nicht sofort beenden kannst“. Das heißt: Bevor wir uns selbst und gemeinsam mit unseren KollegInnen überlegen und darüber austauschen können, wie eigentlich so eine Streiksituation in unserer konkreten Arbeit ausschauen könnte – wer, wann, wo wie streiken könnte, um damit möglichst effektiv zu sein und möglichst viele KollegInnen mitzureißen – wird uns von Leuten, die selbst von den Ergebnissen der KV-Verhandlungen entweder gar nicht oder weit weniger als wir selber betroffen sind, ein fertiger Plan vorgelegt. Die bei Streiks sehr oft auftretenden spontanen, selbstorganisierten Aktivitäten der Betroffenen, die Ansteckungswirkung, die ein Arbeitskampf auf andere haben kann – also der „Bewegungseffekt“ – soll im Vorhinein in geordneten Bahnen und v.a. unter der Kontrolle der BetriebsrätInnen und GewerkschaftsfunktionärInnen gehalten werden. Aber nicht nur der Plan ist vorhersehbar, sondern auch das Resultat des Arbeitskampfes. Offenbar graut vielen ÖGB-FunktionärInnen mehr vor der Möglichkeit einer „aus dem Ruder laufenden Streikbewegung“ als vor einer schmachvollen Niederlage gegen die UnternehmerInnenseite. Die Eigendynamik, die den ArbeiterInnen erst bislang verborgende Fähigkeiten und Kräfte vor Augen führt, wird abgewürgt.

Gehen wir auf die Suche nach dem wunden Punkt …

… unserem eigenen
Wo die Arbeit am meisten schmerzt, wissen wir selbst am besten. Dies kann individuell und je nach Arbeitsbereich verscheiden sein, es können aber auch viele Überschneidungen mit anderen KollegInnen gefunden werden. Oft sind das andere Punkte, als die bei den KV-Verhandlungen besprochen werden. Das heißt: Die Forderungen eines Arbeitskampfes müssen von da kommen, wo gearbeitet wird. Auch kann ein KV-Streik dazu benutzt werden, spezifische Forderungen gegenüber der eigenen Unternehmensleitung durchzusetzen.

… dem unserer KlientInnen
Es kann nicht Sinn von Streiks im Gesundheits- und Sozialbereich sein, KlientInnen/ PatientInnen zu schädigen. Dieser Schaden kann aber sehr unterschiedlich sein: Ein Arbeitsloser ist vielleicht weniger traurig, wenn seine Kursbetreuerin mal nicht zur Arbeit erscheint – eine bettlägrige Patientin, die in ihrem Kot liegen bleibt, sieht das sicher anders. Dieser Punkt spricht besonders dafür, dass die ArbeiterInnen selber bestimmen müssen, welche Form des Arbeitskampfes angewendet werden soll. Die KlientInnen/ PatientInnen können auch auf unterschiedliche Weise in die Proteste einbezogen werden. Schließlich sind sie es auch, die darunter leiden, wenn die Arbeitsbedingungen der HelferInnen schlecht sind.

… dem der UnternehmerInnen
Ja, auch das Sozialwesen – noch mehr das Gesundheitswesen – ist in erster Linie ein Geschäft. Da gibt es einerseits PrivatunternehmerInnen, die davon profitieren. Aber auch ManagerInnen, die in öffentlichen Unternehmen genauso wie in NGOs gutes Geld verdienen, während es für uns scheinbar nicht zu mehr reicht. Auch obliegt es ihnen mit den AuftraggeberInnen (Politik, Bund, Land/ Fond Soziales Wien, Bezirk, Gemeinden) zu verhandeln, zu vermeiden, gegen andere „Konkurrenzunternehmen“ ausgespielt zu werden. Mal zu sagen: Unter diesen Bedingungen, mit dieser Politik, mit diesen Förderungen können wir die von uns erwarteten Leistungen nicht erbringen. That´s none of our business!
Das heißt: Wir – und damit sind auch wieder die ArbeiterInnen selbst gemeint – müssen und uns überlegen, wo es die Unternehmen am meisten schmerzt, wenn wir streiken oder bestimmte Tätigkeiten boykottieren. Wo der wirtschaftliche Schaden am größten ist. Es geht eben nicht bloß darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen, „endlich einmal gehört zu werden“. Es geht darum, an bestehenden Machtverhältnissen zu rütteln und was real zu unseren Gunsten zu verändern. Am Ende zählt für die Firmenleitung nur, ob der (mögliche) wirtschaftliche Schaden durch den Streik der Beschäftigten größer ist als die Erfüllung ihrer Forderungen.

… dem der AuftraggeberInnen
Die PolitikerInnen verteilen Steuergelder ja nicht aus bloßer Mitmenschlichkeit an soziale Einrichtungen. Im Prinzip wollen sie von uns sozial Arbeitenden, dass wir dafür sorgen, dass „Randgruppen“ unter Kontrolle gehalten werden. Dass Armut, Krankheit, gesellschaftliche Missstände, die sichtbarsten Auswirkungen des Kapitalismus, des Patriarchats oder des Staatsrassismus, unangepaßtes Verhalten, Verschleißerscheinung durch Arbeit, Leistungsunfähigkeit oder –unwilligkeit … nicht zu sichtbar werden. Die öffentliche Wahrnehmung nicht stören. Damit Einkaufsstraßen, Bahnhöfe oder öffentliche Plätze frei bleiben von „unangenehmen Menschen“, von drastischen Eindrücken menschlichen Elends. Damit Menschen auch in sozialen Problemlagen besser und einfacher verwaltet werden können. Damit Ämter, Rathäuser, Büros von (Lokal-)PolitikerInnen nicht von Bedürftigen überrannt werden.
Nichts wird nur dadurch besser, wenn einem Menschen mit besonderen Bedürfnissen nicht geholfen wird. Aber es kann schon viel bringen, wenn wir sichtbar machen, welches Elend durch unsere Arbeit tagtäglich von der Bildfläche fern gehalten wird.
Es gibt eigentlich mehr als genug Geld, es wird nur falsch verteilt. Es wird halt meist lieber verwendet für den Profit der KapitalistInnen, zum Kauf von neuen Waffen, zum Bau von Grenzschutzanlagen oder um Banken mit Aber-Milliarden zu retten, weil sie das Geld der SparerInnen in windigen Geschäften verjuxt haben.
Bedenken wir auch, dass das Sozial- und Gesundheitswesen Wachstumsbranchen sind, in denen trotz aller Digitalisierung und Robotik, auch in Zukunft immer mehr Arbeitskräfte gebraucht werden.

Ein Streik bringt frischen Wind

Von Arbeitskampf zu Arbeitskampf lernen wir dazu. Wichtige Forderungen, wie die Situation der BerufseinsteigerInnen (PraktikantInnen), Dienstplangestaltung/ geteilte Dienste, die 35-Stunden-Woche u.a., die heuer Eingang in die KV-Verhandlungen gefunden haben, stammen von Beschäftigen selbst bzw. engagierten Minderheiten, die – oft außerhalb der Vertretungsstrukturen – von Jahr zu Jahr lauter werden. Welche Berufsgruppen (Rettung, Reinigungskräfte, manuelle ArbeiterInnen etc.) werden durch andere – oft schlechtere – KV´s geregelt? Wieviele ArbeiterInnen im Sozial- und Gesundheitsbereich (Scheinselbstständige, „Freie DienstnehmerInnen“) werden meist widerrechtlicher Weise von gar keinem KV erfaßt? Wo sind die Schwachstellen „unseres“ KVs gegenüber anderen (wie z.B. Rufbereitschaft, Sonntags-und Feiertagsarbeit)? Von Arbeitskampf zu Arbeitskampf werden wir unserer tatsächlichen Fähigkeiten bewußter und stärker. Wenn wir das Denken, das Handeln und v.a. das Entscheiden nicht anderen – BetriebsrätInnen, ÖGB-FunktionärInnen, PolitikerInnen – überlassen!

Gesundheits- und Sozialarbeitende im Wiener Arbeiter*innen Syndikat
Kontakt: gus.was@riseup.net

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